Ich habe ja mal wieder ein Gastspiel in meinem alten Metier gegeben und war auf dem Histocamp – und das ist definitiv ein Erlednis. Damit meine ich nicht hauptsächlich, dass sich das bereits im zweiten Jahr als das Klassentreffen einer neuen Art von Geschichtsprofis und -interessierten. Ich meine vielmehr den Geist, miteinander zu netzwerken und über Gemeinsamkeiten und gemeinsame Interessen zusammenzufinden, statt sich gegenseitig mit dem antrainierten Habitus die sorgfältig abgesteckten Claims der wissenschaftlichen Einzigartigkeit vorzuführen.
Ein paar Rituale sind natürlich unvermeidlich – am Putzigsten der hartnäckige Versuch von Jürgen Hermes / @spinfocl, als „Fachfremder“ ja gar nicht richtig dazuzugehören. Denn gerade das fällt als Erstes ins Auge: Die Anzahl der Menschen, die sich mit Herzblut für Geschichte im Speziellen und Geisteswissenschaften im Allgemeineren interessieren und/oder einsetzen, aber selbst gar nicht im akademischen Rahmen beruflich Historikerinnen* (generisches Femininum, weil ich keine Wortmonster mit _ und * mag…) sind. Ich finde das bemerkenswert – u.a., wie viele Archäologinnen beim Histocamp zeigen, wie nah sie sich der Geschichte fühlen – und wie wenig die historische Fachwissenschaft im Gegenzug die Archäologie als „ihre Nachbarin“ wahrnehmen würde. Oder die selbständigen Historiker wie Wenzel Seibold (wo ich ziemlich baff war, dass es dafür einen Markt gibt, ehrlich gesagt). Und dass die neue Rechte mal stramm die Twitter-Wolke der Geschichtsrevisionismus-Session zu überrollen versucht – einfach nur wow. Wir leben in Zeiten, die vor wenigen Jahren noch unser finsterster Albtraum waren. Nico Nolden hat mit einem Tag Abstand die passenden Worte gefunden:
Ich finde, es wird Zeit, dass alle begreifen, wie viele Leute so denken. Wir müssen den Arsch dagegen hoch kriegen.
— Nico Nolden (@NicoNolden) November 5, 2016
… und das gilt und jeder sollte sich das zu Herzen nehmen: Wenn jemand histofabulogischen Bullshit von sich gibt, MÜSSEN wir aufstehen und die Gegenrede führen. Es macht sonst keiner – und wer, wenn nicht wir? Wer den 2+4-Vertrag, die Ostverträge, die Grundlagen unseres Staates kennt, ist befugt und verpflichtet, die den Idioten um die Ohren zu hauen und zwar kräftig.
Ich selbst habe auch – und wesentlich weniger politisch – mitgemischt, auch wenn ich nur einen Tag dabei sein konnte und die Abendveranstaltung aus ausgelassen habe. Es war also Schmalspur-Histocamp, und allen, mit denen ich nicht ausreichend geredet habe oder die gerne noch mit mir reden (oder dieses Craft Beer trinken wollten) , ein ehrliches Sorry. 2017 komme ich mit hoffentlich mehr Zeit wieder oder mache mein Soli-Ticket so teuer, dass es eine drastische Geldstrafe wird.
Ich habe auch ein wenig geplaudert (leider zu viel selbst geredet, zu wenig zugehört bzw. mit den Menschen geredet). Im Kern ging’s darum, dass ich mich immer noch ärgere, dass es für Geisteswissenschaften kein ordentliches öffentlich finanziertes PaaS gibt, das Standardaufgaben der Datenmodellierung und Datenhaltung Out-of-the-Box kann, Grundfunktionalitäten für die Textanalyse „einfach so dabei“ hat und eine robuste Plattform für eigene Anpassungen.
Als meine Zielvorstellung habe ich die AppCloud / Force.com Plattform vorgestellt. Natürlich ist das ein mächtig schiefes Bild, einen relativ teuren Cloud-Giganten als Heilsbringer für das mäßige Infrastrukturbewusstsein der Forschungslandschaft in Deutschland zu präsentieren. Für mich stehen zwei wichtige Punkte im Vorgrund:
a) der Einstieg ist mit einer Developer-Instanz komplett kostenlos und „für immer“. Und wie will man jemandem sinnvoll ein Bewusstsein für die Möglichkeiten sinnvoll abgelegter Daten schaffen, wenn er erstmal entscheiden muss, ob sein Textfeld TEXT, CHAR, VARCHAR ist? Für Ein- und Umsteiger muss das einfacher gehen, und das bietet eben die Force.com (sprich: Anwendungs-Customizing auf der Salesforce-Platform) so gut wie kaum ein anderes System.
b) wenig bekannt: Non-Profits und Hochschulen können auf Antrag eine Spende von 10 Lizenzen erhalten und bekommen mächtig Rabatt auf alle anderen Produkte (ich habe da eine kleine Routine – wenn ihr glaubt, Eure Einrichtung / Euer Projekt oder Verein sollte eine solche Lizenzspende haben, sprecbt mich an).
Die Grundausstattung mit einer starken relationalen Datenbank, deren Backend relativ leicht zu verstehen und zu lernen ist, die keinerlei Code braucht, die ein Frontend dabei hat und automatisch eine API und einen Webserver mitliefert, ist einfach zu gut, um nicht für einen ersten Aufschlag damit ein agiles Projekt anzustoßen. Die Gedanken werde ich in einem eigenen Post nochmal anstoßen.
Last but not least habe ich ein neues Github-Repo: Das Humanties-Bingo ist unter https://github.com/dstdia/HumanitiesBingo am Start (Stand der App-Entwicklung: bingo.danielstange.de).
Das Humanities-Bingo sollte eigentlich irgendwann mal Moritz Hoffmann helfen, das histobingo einfacher zu machen. Momentan kann es noch nichts – aber meine Ziele sind ambitioniert:
- Ich würde gerne Wortfelder zu einzelnen Disziplinen bilden, damit man interdisziplinär, aber auch unter sich spielen kann.
- Der Fokus liegt natürlich auf dem Histocamp, aber ich will gerne ein universelles Tool anbieten, das man für Vortragsbingo jeder Art verwenden kann.
- Spieler sollen einen Login bekommen, der auch den Twitterhandle speichert, damit der BingoBot mit und über die Teilnehmerinnen der Runde twittern kann.
- Ich will Spielrunden einbauen, damit man z.B. ein Event #histocamp und eine Spielrunde #histopaas auswählen kann, um mit und gegen die Teilnehmerinnen dort Karten zum Thema der Session spielen kann.
- Es wird einen kleinen Analyse-Kern geben, der die Häufigkeiten speichert, wie oft Worte markiert werden und welche Worte häufig gewinnen.
- Es wird eine kleine Implementierung von cometD der Streaming API geben, damit alle Teilnehmerinnen einer Runde erfahren, wer ein Bingo hat und dass die Runde vorbei ist.
- Man kann bereits jetzt eigene Wörter vorschlagen.
- Und – nifty nifty: Ich habe das Konzept der Gravitas „entwickelt“: Es gibt spezielle Worte, die das Konzept des Zufalls beugen. Ihr kennt das sicherlich: Es geht um irgendetwas und könnte schön werden, würde sich nicht irgendwer ranpirschen und sich selbst rein- und vordrängeln. Das wird mein Bingo auch bekommen – Worte, die selbst den Zufall überholen und sich melden, selbst wenn eigentlich der direkte Nachbar gemeint war.
Wirklich schnell wird das natürlich nicht fertig werden, weil es echt ein Spielzeug wird. Aber ich liebe es jetzt schon. Wenn mich jemand unterstützen mag, sei es mit Frontend-Magie (CSS / JS – gerne jQuery oder Angular ), sei es mit Ideen, Wörtern oder einem Seminar, das einfach regelmäßig spielt und damit die Häufigkeiten füllt und Praxistests macht – ich freue mich über alles und jeden.
Mehr zu allen Themen in den nächsten Posts – für heute reicht’s erstmal.