„Veredlung und Vermarktung“

Vor wenigen Tagen hat Karoline Döring etwas an mir vorbeigezwitschert, das mich an einen alten Witz erinnert hat, den ich gerne gemacht habe, als ich noch als studentische Hilfskraft die „Manuskriptvorbereitung“ für Sammelbände gemacht habe. Der Witz ging so:

„Das einzige Lektorat, dass dieser Band verlagsseitig gesehen hat, ist das in der Emailadresse lektorat1@druckkostenzuschussverlag.de, an den das PDF geschickt werden musste“.

Es hat sich nicht viel verändert in den letzten 10 Jahren, außer dass man noch weniger Leistung vom Verlag bekommt, noch mehr selbst macht, für $Geld.absurdeMenge das Open Access-Recht nach 3 Jahren und für $Geld.absurdesteMenge das sofortige oder kurzfristige Open Access-Recht kaufen kann.

Realistisch gesehen: Das wissenschaftliche Sachbuch mit Druckkostenzuschuss ist ein Kunstprodukt. Es ist geboren aus der Idee, ein unwirtschaftliches Produkt halbwegs wirtschaftlich zu machen. Es lebt weiter, weil ein Markt für das Produkt besteht – und zwar nicht auf der Seite der Endkunden, sondern auf der Seite der Geschäftskunden (Klartext: Der Markt sind die Publikationswilligen und -pflichtigen).

Sehen wir’s mal realistisch: Eine Dissertation für 79,90€ (das ist nicht selten) kauft keine Sau außer ein paar Bibliotheken. Der oder die Publikationspflichtige sitzt noch Jahrzehnte später auf der Restauflage (von der er/sie zuvor in der Phase der „stolzen Eltern“ jedes einzelne Belegexemplar zum rabattierten Preis gekauft hat). Rechnen wir mal alles in allem, dass 50 Exemplare verkauft wurden, 10 davon zum rabattierten Autorenpreis, hat das Buch nach Steuerabzug 3.566€ Umsatz gebracht. Dazu kommt vielleicht ein Druckkostenzuschuss von 6.500€, von denen beim Verlag nur 5.265€ bleiben (Steuer, ne). Das Buch erlöst also über sein Leben vielleicht knapp 10.000 Euro – hier sind’s gerade konkret 8.831€. Rechnen wir jetzt noch raus, dass der Verlag das Buch nicht zum Selbstzweck macht, sondern einen Deckungsbeitrag erzielen will, und für die tatsächliche Herstellung auch tatsächlich Geld anfällt, dann muss man nicht lange rechnen: Es sieht nicht nur so aus, als ob für das Geld niemand einen Finger krumm macht. Es ist vielmehr quasi wirtschaftlich unmöglich, jemanden ernsthaft einen Finger krumm machen zu lassen, falls man noch etwas an dem Buch verdienen will.

Im Grund verkauft der Verlag also nur den Medienübergang von der PDF-Datei auf Papier. Und selbst der wäre in den typischen Self-Publishing / Print-on-Demand-Verlagen sehr viel billiger zu haben.

Es ist ja jetzt nicht so, dass das noch nie jemand durchschaut hat. Und trotzdem läuft das Ganze wie geschmiert. Die Antwort liegt meines Erachtens in der Reputationskultur der allermeisten geisteswissenschaftlichen Fächer. Man erwähne spaßeshalber einmal im Gespräch mit Vorgesetzten, Qualifikationsschriftbetreuern oder vergleichbaren Instanzen im Hierarchiegefüge, dass man die Publikation in elektronischer Form, Selfpublishing, Print-On-Demand oder ähnlichem plane. Die Reaktion dürfte sich über die Jahre kaum ändern: Publiziert wir nicht, damit Erkenntnisse in die Welt kommen, sondern damit ein möglichst wertiger Karton mit möglichst renommiertem Verlagslogo auf dem Papierberg geklebt wird. Hochschulrepositorium ist daher ganz schlecht. Selfpublishing oder Print-on-Demand Eingeständnis des totalen Scheiterns. Broschur war lange der Teufel oder zumindest die Mutter des Teufels, bis ein bekannter Verlag in Göttingen seine Druckkostenzuschuss-Publikationen entweder sackteuer oder in Broschur durch einen Tochterverlag vertrieben hat. Und der Mercedes der gedruckten Schrift ist dann halt eben der Hardcover-Band auf 120g-Papier.

Wirtschaftlich ist das völlig sinnlos. Für den Verlag. Für die wissenschaftlichen Bibliotheken als Endkunden. Für den Steuerzahler (der zahlt in der Regel das Projekt, aus dem die Studie stammt, den Druckkostenzuschuss und die Bibliothek – im Prinzip also dreimal: Inhalt, Herstellung und Anschaffung). Warum die WissenschaftlerInnen das aber trotzdem nur heimlich doof finden, erklärt sich aus dem Reputationswert des gedruckten Daimler: Das hochwertig gedruckte Buch ist ein Distinktionsmerkmal in einer Branche, die inhaltlich, vor allem aber personell saturiert ist (und das in der Regel mit Menschen, die es gewohnt sich, ihrer Arbeit als Idealisten nachzugehen und gleichzeitig mit allen verfügbaren Ellenbogen, auch gegen die eigenen Bedürfnisse, die Konkurrenz abzuhängen. Und genau deswegen gibt es die Druckkostenzuschusspublikation und deswegen wird sie nicht weggehen, solange man ehrfürchtige Blicke statt mitleidigem Lachen und einem Eintrag im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler für seinen 500-Seiten-„Edition academia deWullewupp-Mockonium New York-Berlin-London 2015“-Wälzer erntet.

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